Rennaissancefürst Sammler Mäzen
von Wolfgang Metzger
Ottheinrich von der Pfalz (1502-1559)
gehörte zu den wichtigsten Kunstsammlern und Bibliophilen seiner
Zeit. Seit er am 2. Juni 1522, zusammen mit seinem jüngeren
Bruder Philipp (1503-1548), im Rittersaal der Burg Lengfeld für
volljährig erklärt worden war, herrschten die beiden zunächst
über das kleine pfälzische Territorium Neuburg. Dieses war erst
1505 durch den sogenannten "Kölner Spruch" für die Söhne
Rupprechts von der Pfalz gegründet worden. Die beiden jungen
Herzöge begannen damit, eine moderne Verwaltung aufzubauen.
Zumal Ottheinrich entfaltete schon bald eine rege Tätigkeit als
Bauherr, Sammler und Mäzen. Glanzvolle Auftritte bei Festen und
adligen Freundschaftsbesuchen gehörten ebenso zu seinen
Vorlieben wie kunstvolle Harnische für Roß und Reiter. Mit
Federigo Gonzaga II. von Mantua und Ercole d'Este II. von Ferrara
tauschte er wertvolle Geschenke aus. Waren in Italien die
kostspieligen Rüstungen der Augsburger und Nürnberger
Kunstschmiede gefragt, so interessierte sich Ottheinrich vor
allem für italienische Gemälde, Antiken und Medaillen. Er
konnte so unter anderem ein Gemälde Tizians erwerben. Leider
waren jedoch die Mittel des kleinen Fürstentums derartigen
Ausgaben auf Dauer kaum gewachsen, zumal auch noch die Außenstände
Philipps zu begleichen waren, dessen Landesteil Ottheinrich am 4.
April 1541 übernahm. Daher mußte Ottheinrich für einige Jahre
das Land verlassen. Nur unter dieser Bedingung waren die Stände
bereit, seine Schulden zu decken. So siedelte er 1544 um in die
Kurpfalz. Ein wichtiger Schritt in dieser ersten Zeit als Landesfürst
war 1542 die Einführung der Reformation in Pfalz-Neuburg.
Ottheinrich 1535 von Barthel Beham, Nürnberg (1502 - 1540)
Heute noch zeugt
das über der Donau prachtvoll gelegene Neuburger Schloß vom
Gestaltungswillen des jungen Renaissancefürsten. Seine
Kunstsammlungen jedoch sind zerstreut, denn das Inventar war
versteigert worden. Der Rest fiel wenig später dem
Schmalkaldischen Krieg zum Opfer. Nur umfangreiche Recherchen in
Archiven, Bibliotheken und Museen ermöglichen es heute, ihren
einstigen Glanz zu erahnen und das Gewesene zu rekonstruieren.
Die Bücher konnte Ottheinrich zum großen Teil retten. Allerdings gelang es ihm, auch weitere Stücke aus der
Neuburger Zeit zurückzukaufen, etwa die prachtvollen Kleider und
einige Wandteppiche. Vor allem dem Ausbau seiner Bibliothek
widmete er die langen Jahre des Exils. Die Mittel waren rar, doch
nutzte er die Gunst der Stunde. Die Aufhebung der alten,
mittlerweile im Niedergang begriffenen, Klöster ermöglichte den
Zugriff auf kostbare mittelalterliche Handschriften. In die
Reichsabtei Lorsch im Rheingau fiel Ottheinrich, der Zimmerischen
Chronik zufolge, ein wie ein zweiter Nebukadnezar und entführte
die Bibliothek mit Stumpf und Stiel - Jahre vor seiner Kurfürstenzeit.
Das einzigartige Büchererbe des im 8. Jahrhundert gegründeten
Klosters kam so zusammen mit anderen Zimelien nach Heidelberg.
Oft war es weniger Raub als Rettung, denn was zurückblieb,
drohte unterzugehen.
Pfalz-Neuburg sollte Ottheinrich 1552 zurückbekommen. Wenige Jahre später, 1556, trat er schließlich die Nachfolge seines Onkels, Friedrichs II., als Pfalzgraf bei Rhein und Kurfürst des Reiches in Heidelberg an. Ottheinrich war bereit, denn der Erbfall war abzusehen gewesen. So konnte er die wenigen Jahre, die ihm bleiben sollten, für eine Reihe zukunftsweisender Maßnahmen nutzen. Die offizielle Einführung der Reformation in der Pfalz erwies sich als historische Weichenstellung. Die Erneuerung der Universität unter der Mitwirkung Philipp Melanchthons - eines der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit - bereitete den Weg für einen neuen Aufschwung der Hochschule in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Ausbau der Bibliotheca Palatina aber schuf eine einzigartige Sammlung von Texten und bibliophilen Kostbarkeiten, die bis heute ihre Faszination bewahrt. In den Beständen der Heidelberger Universitätsbibliothek (deutsche Handschriften) und der Vatikanischen Bibliothek (lateinische und griechische Handschriften sowie Drucke) blieb sie bis heute praktisch vollständig erhalten. Darüber hinaus gibt es einige verstreute Stücke in München, Neuburg, Köln, Mainz, Darmstadt und in weiteren europäischen Städten, zumeist Drucke. Ottheinrichs Fürsorge erstreckte sich auch auf die Zukunft. Sein Testament enthält eine Bestimmung zur Pflege und Erweiterung der Bibliothek: 50 Gulden, etwa das halbe Jahresgehalt eines Heidelberger Professors, sollte jährlich für Bücherkäufe bei der Frankfurter Messe aufgewendet werden.
Mit seinen
charakteristischen Merkmalen ist es vor allem der Ottheinricheinband der den Büchern aus seiner Bibliothek ihr Gepräge gibt.
Entsprechend der Anweisung an seinen Buchbinder Jörg Bernhard
von 1550 erhielten die Bände Holzdeckel und wurden mit rotem,
braunem oder schwarzem Kalbsleder überzogen. Sie sollten vorne,
in Gold, sein Bildnis tragen und hinten sein Wappen, jeweils
eingerahmt von figürlichen Zierleisten. Dazu kam die Jahreszahl,
und meist noch eine Buchstabenfolge aus den Initialen und der
Devise: OHP MDZ
(Otto Heinrich Pfalzgraf Mit der Zeit). Die Grundlage hierfür bildete die
Einbandgestaltung in Augsburg und Südwestdeutschland. Dazu trat
jedoch in den 40er Jahren mit Macht das Vorbild der Wittenberger
Einbandgestaltung im Zeitalter der sich ausbreitenden Reformation.
Es ist kein Zufall, daß Ottheinrich gerade in den Jahren, in
denen er sich persönlich auf die Seite der Reformation Luthers
stellte, auch zu seinem neuen Einbandstil fand. Der hoch
entwickelte, persönliche Geschmack des Fürsten führte dazu, daß
sich Vorbilder und eigene Gestaltung zu einem harmonischen Ganzen
verbanden. Für die mit umfangreichem Golddekor geschmückten
Prachteinbände der 50er Jahre dürfte sich Ottheinrich dann auch
am "welschen Stil" orientiert haben, also an
italienischen und französischen Einbänden seiner Zeit. Den
unverwechselbaren Ottheinricheinbänden ist es zu verdanken, daß
wir heute auch die zahlreichen verstreuten Bände seiner
Bibliothek identifizieren können. So wäre es durchaus möglich
eine "virtuelle Bibliothek" des Fürsten zu
rekonstruieren und damit der Forschung zurückzugewinnen.
Der Renaissancefürst
von Bildung und Geschmack widmete sich auch der Musik, förderte
Gelehrte, mit denen er auch korrespondierte, und hat selbst
kleinere Schriften hinterlassen, so einen Reisebericht aus dem
Heiligen Land und eine Lebensbeschreibung seines 1548 in
Heidelberg verstorbenen Bruders Philipp. In seinen Gärten und
Menagerien in Neuburg, Heidelberg und möglicherweise auch in
seinem zeitweiligen Exil Weinheim konnte man exotische Pflanzen
und Tiere bewundern, die er teils über die
Handelsniederlassungen der Fugger, teils über seine Verbindungen
zu italienischen Fürsten bezog. Hier konnte man außer dem Löwen
Wappentier der Pfalz und allzeit beliebtes
Symbol für Mut und Stärke auch afrikanische Straußen
und selbst amerikanische Truthähne bestaunen. Daß auch er, wie
viele andere Fürsten seiner Zeit, Alchemie betrieb und sich für
die Astrologie interessierte kann kaum verwundern. Die
Beziehungen Ottheinrichs zu dem bedeutenden Astronomen Cyprianus
Leovitius sind bis heute leider nur unzureichend untersucht.
Zunehmend behindert von seiner unförmigen Leibesfülle, starb Ottheinrich mit 57 Jahren, nach nur dreijähriger Regierungszeit als Heidelberger Kurfürst. Da er keinen Erben hinterließ, endete mit seinem Tod die ältere Linie der pfälzischen Wittelsbacher. Ein Unglück, das er selbst als Strafe für ein Vergehen seines Vorfahren, Ludwigs III. von der Pfalz, auffaßte. Als Protektor des Konstanzer Konzils (1414-1418) hatte dieser auch die Verbrennung des Jan Hus und seines Anhängers Hieronymus von Prag geleitet. Als Protestant aber sah auch Ottheinrich in Hus einen Vorläufer der Reformation. Die Kunstsammlungen des Fürsten wurden über ganz Europa verstreut. Dennoch blieb er bis heute im Bewußtsein. Der einstmals größte Schatz des gelehrten Deutschland, die Bibliotheca Palatina und nicht zuletzt der Ottheinrichsbau des Heidelberger Schlosses, eines der bedeutendsten Bauwerke der Renaissance in Deutschland, sind mit seiner Person untrennbar verbunden. Sein 500. Geburtstag im Jahr 2002 und das 450jährige Jubiläum seines Regierungsantrittes in der Pfalz und des Baubeginns des Heidelberger Ottheinrichbaus im Jahr 2006 wird Gelegenheit bieten, sich in Neuburg und Heidelberg auf der Grundlage neuer Erkenntnisse vertieft mit seiner Rolle als Fürst, Sammler und Mäzen zu beschäftigen.
© Wolfgang Metzger 2001
Das Portrait Ottheinrichs (öl
auf Holz, 43 x 32 cm)
von Barthel Beham wurde entnommen aus:
Georg Poensgen (Hg.), Ottheinrich. Gedenkschrift zur vierhundertjährigen
Wiederkehr seiner Kurfürstenzeit in der Pfalz, Heidelberg 1956
Das kolorierte Frontispiz mit dem
Portrait des Fürsten
findet sich in einem Bibeldruck der Badischen
Landesbibliothek Karlsruhe