Geschichte des Laufens - Prähistorisches
Von
Rennaffen und Muskelmännern
Die
Geschichte des Laufens begann vor mindestens 4,5 Millionen Jahren.
Während sich unsere Vorfahren bis dahin weit überwiegend
auf allen Vieren fortbewegt hatten, verfielen sie nun darauf, sich
aufzurichten und fortan erhobenen Hauptes durch ihre afrikanische
Heimat zu wandeln. Schon die „Vormenschen“ der Gattung
Australopithecus („südlicher Affe“) gingen wohl
überwiegend auf zwei Beinen, wie ihre Überreste -
mittlerweile eine relativ große Anzahl von Knochen - sowie eine
rund 3,6 Mio Jahre alte, durch die darüber niedergegangene
Vulkanasche konservierte, rund 20 Meter lange Fußspur in
Laetoli, Tansania zeigen. Allerdings dürfte der „südliche
Affe“ noch kein großer Läufer gewesen sein. Seine
Beine waren recht kurz und auch die Füße erinnerten noch
eher an Greifwerkzeuge als an die Extremitäten von
Langstreckenläufern. Die am Knochen erkennbaren Sehnenansätze
scheinen darauf hinzuweisen, dass er noch keine sonderlich kräftig
entwickelte Achillessehne hattte wie seine rennenden Nachfolger.
Diese erscheint jedoch bei den Vertretern der Gattung „Homo“
(Mensch) vor rund 2,5-2 Mio Jahren. Da diese Frühmenschen unsere
ersten Vorfahren waren, die als aufrecht gehende Menschen erkannt
wurden, haben ihre Erforscher sich frühzeitig darauf geeinigt,
sie „Homo erectus“
zu nennen, den aufgerichteten Menschen. Heute teilen einige Fachwissenschaftler
diese Art jedoch auf und bezeichnen den afrikanischen Homo erectus
als „Homo ergaster“
, den Handwerker oder Arbeiter (griechisch: εργαστήρ).
Der Name bezieht sich vor allem auf die Steinwerkzeuge, die er
herstellte und benutzte. Neue Ausgrabungen und neue
Überlegungen zu den Funden könnten uns jedoch auf die Idee
bringen ihn „Homo currens“ zu nennen – den
laufenden Menschen. Mittlerweile hat man noch mehr Eigenschaften
gefunden, die vor allem fürs Laufen von Vorteil waren, zum
Beispiel die sehr kurzen Zehen im Vergleich zu allen anderen
Primaten. Tatsächlich verändern sich dadurch die
Hebelverhältnisse so, dass beim Rennen deutlich mehr Abdruck
möglich ist. Der kommt nämlich zu einem erheblichen Teil
von den Zehen, und das nicht erst bei Sprinttempo (Rolian C,
Lieberman DE, Hamill J, Scott JW, Werbel W.: Walking, running and the
evolution of short toes in humans, in: Journal of Experimental
Biology 212,Pt 5, 2009 March, S. 713-721).
Vergleicht man ihn mit einigen Rennern im Tierreich, erscheint der Mensch
zunächst als recht armseliger Läufer. Fast alle seine vier-
und zweibeinigen Konkurrenten, von der Antilope bis zum Strauß,
lassen ihn beim Sprint über kurze Strecken sehr schlecht
aussehen. Von Raubtieren wie Löwen und Geparden ganz zu
schweigen. Wer je versucht hat, vor einem ernsthaft sprintenden Hund
davonzulaufen, weiß Bescheid. Warum also sollte ausgerechnet
die so mager ausgebildete Fähigkeit zu rennen von besonderer
Bedeutung sein? Nicht nur Sportreporter und Fernsehatleten waren (und
sind) etwas einseitig auf den Sprint fixiert. Auch Paläontologen
schienen hier lange Zeit einseitig vorbelastet zu sein. Allenfalls
war man in Kreisen vermutlich überwiegend sitzend tätiger
Wissenschaftler geneigt, das Gehen weiterer Strecken als relevant für
die Entwicklung des Menschen anzusehen. Erst in den letzten Jahren
hat es der Langstreckenlauf mit seinen Rekorden in die Nachrichten
geschafft. Und erst im 21. Jahrhundert scheint es aufgefallen zu
sein, dass unsere Stärke als Art ganz eindeutig bei den langen
und sehr langen Strecken liegt. Selbst ein Weltklassesprinter wird
einem angreifenden Wachhund, ob Schäfer oder Dobermann, nicht
entkommen. Aber schon ein durchschnittlicher Hobbyläufer mit ein
bischen Marathontraining wird den selben Hund nach spätestens 20
Kilometern japsend hinter sich lassen. Wer halbwegs gesund und bereit
ist, in seiner Freizeit täglich 1-1,5 Stunden in Lauftraining zu
investieren, kann binnen weniger Jahre erstaunliche Distanzen laufend
überwinden. Strecken von 100 Kilometern sind hier nur der
Anfang. Unsere Vorfahren aber waren vermutlich nicht nur eine Stunde
am Tag auf den Beinen, sondern viele Stunden, oft vielleicht den
ganzen Tag. Eine Antilope oder einen Hirsch – beide im Sprint
für ihn unerreichbar - bis zur völligen Erschöpfung zu
hetzen ist laufenden Menschen durchaus möglich. So war es schließlich an der
Zeit, sich zu überlegen, ob diese erstaunliche Fähigkeit,
bei der sie fast alle laufenden Lebewesen dieses Planeten
übertreffen, von ihren nächsten Verwandten, den anderen
Primaten, ganz zu schweigen, eine Rolle in der Evolution des Menschen
gespielt haben könnte. Es kann kaum Zufall sein, dass wir als
potentielle Extremläufer geboren werden, zumal die Evolution uns
mit einer ganzen Reihe von einschlägigen körperlichen
Eigenschaften gesegnet hat (Bramble/Lieberman 2004.
Die Arme
von Homo erectus waren kürzer und seine Beine länger als
die seiner Vorgänger, er war größer (170-180) und die
Hirnschale war etwas geräumiger. Schließlich musste er
nicht mehr auf Plattfüßen durch die Savanne schleichen,
denn er hatte schon ein Fußgewölbe mitbekommen.
Letzteres sorgt für ein wenig Federung und Dämpfung
beim Gehen und Laufen auf festem Untergrund. Auch verfügte er
über eine kräftige Achillessehne und entsprechende
Wadenmuskeln für den Vortrieb beim Laufen. Um die Belastung der
Gelenke beim Rennen aufzufangen, haben schon die frühen Menschen
im Beinbereich recht breite Gelenke mit großen Gelenkflächen,
so dass sich die Last besser verteilen kann und die Lagerflächen
nicht beschädigt. Es gibt noch mehr Hinweise darauf, dass der
frühe Mensch ein Langstreckenläufer war und durch genau
diese Eigenschaft wesentliche Vorteile für seine weitere
Verbreitung und Entwicklung bekam
(Bramble/Lieberman 2004).
Gut erhaltene
Fußspuren
in einem heute versteinerten, ursprünglich weichen, Sediment in
Ileret, Kenya zeigen sogar unsere Vorfahren in Bewegung. Ihre grossen
Zehen waren eng angelegt (nicht mehr abgespreizt, wie zum Greifen)
und ihre Füße hatten ein ausgeprägtes Längsgewölbe.
Sie gingen indem sie über Ferse und Ballen abrollten und sich
durch einen kräftigen Abdruck über Vorfuß und
Grosszehen vorwärts bewegten. Sie liefen offenbar vor 1,5 Milionen Jahren im wesentlichen schon genauso wie
wir, wenn wir barfuß am Strand unterwegs sind. |
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Doch das aufgerichtete Gehen auf zwei Beinen war nicht nur praktisch, weil es
die Hände für anderes frei ließ und den Augen einen
besseren Überblick verschaffte, es ermöglichte es auch,
gehend und laufend erstmals weite Strecken über Land
zurückzulegen. Der Mensch wurde so zur einzigen Art in seiner
ganzen affenartigen Verwandtschaft, der laufend recht schnell weite
Entfernungen bewältigen kann. Allerdings waren noch andere
Eigenschaften notwendig, um aus einem Baumbewohner einen
Langstreckenläufer zu machen. Die wichtigste vielleicht ist die
Fähigkeit kräftig zu schwitzen. Da der neue „Rennaffe“
zudem sein Fell abgelegt hatte und sich nun ungehindert den Fahrtwind
über die verschwitzte Haut streichen ließ, war auch das
leidige Überhitzungsproblem beim langen Rennen in den Griff zu
bekommen. Allerdings wird so für die Rennerei eine ganze Menge
Trinkwasser benötigt. Zudem ging man lange Zeit davon aus, dass
sich der Mensch in einer recht trockenen und überwiegend
baumlosen Savanne entwickelt hat. Die Laufstrecke wäre also
wegen Wassermangel auf relativ bescheidene 20-30 Kilometer beschränkt
gewesen, d.h. unsere Vorläufer hätten sich kaum mehr als
10-15 Km von der Wasserstelle entfernen können. Nicht viel, wenn
man Jagdbeute hetzen will. Bis jetzt gibt es keine Hinweise darauf,
dass die frühen Menschen dazu in der Lage gewesen wären,
Wasser mit sich zu nehmen, etwa in Kalebassen (Flaschenartige
Behälter aus Kürbisschalen). Allerdings war die Umwelt der
frühen Läufer wohl gar nicht so trocken, wie zunächst
angenommen. Neuere Forschungen zur Klimageschichte zeigen, dass die
frühen Menschen in einer offenen aber durchaus mit Bäumen
bestandenen Landschaft wohnten, in der es gar nicht so wenig Wasser
gab. Auch dürfen wir nicht von den heute dem joggenden Fußvolk
beigebogenen Maßstäbe der Wasserversorgung ausgehen. Zum
einen sind hier die 80er und 90er Jahre durch heftige Übertreibungen
geprägt, die bei Marathons und Ähnlichem sogar regelmäßig
zur sogenannten Wasservergiftung führten (vgl. Tim Noakes: Lore of Running, 4. Aufl. 2001,S. 197ff.),
zum anderen sind kurzzeitige Engpässe wohl zu tolerieren, wenn
es um die Ernährung und letztlich ums Überleben geht. Der
maximale Aktionsradius von Homo erectus mag somit vielleicht eher im
Bereich von 40-50 Km am Tag gelegen haben. Sobald wir annehmen
können, dass er von Wasserstelle zu Wasserstelle laufen konnte,
oder sogar an einem Flussufer entlang, sind wesentlich höhere
Tagesleistungen denkbar.
Dabei wären wir bei der Frage angekommen, warum in aller Welt der
Urmensch durch die Gegend rennen sollte. Das Renommieren mit der
Teilnahme an prestigeträchtigen Marathons oder der Wunsch,
missliebige Fettwülste von den Hüften zu bekommen,
dürften es eher nicht gewesen sein. Um das herauszubekommen,
versuchen Wissenschaftler durch das möglichst vollständige
Erfassen der relevanten Daten zu plausiblen Theorien zu kommen. Dass
es darum ging, sich Fleischnahrung zu beschaffen, ist hierbei nicht
nur aus der Perspektive manischer Grillfleischenthusiasten plausibel.
Man muss historisch nur einen winzigen Schritt in die
Vergangenheit tun, um auf eine Menschheit zu stoßen, die - bis
auf eine verschwindende Minderheit - von Nahrungsknappheit geprägt
war. Schon kleine klimatische Unregelmäßigkeiten führten
selbst in ausgesprochen lebensfreundlichen Zonen wie Mitteleuropa häufig zu verheerenden
Hungerkatastrophen und das bis hinein ins 19. Jahrhundert. In
vorgeschichtlicher Zeit war die Verfügbarkeit von
Nahrungsmitteln der ausschlaggebende Faktor für die Ausbreitung
einer Bevölkerung oder ihr Verschwinden. Die Möglichkeit,
zusätzlich zur Pflanzenkost auch tierische Nahrung von hoher
Kaloriendichte und höchstwertiger Zusammensetzung zu nutzen, war
aller Wahrscheinlichkeit nach ausschlaggebend für den Erfolg der
Gattung Homo. Sehr wahrscheinlich war es jedoch nicht in erster Linie
die Jagd, die Proteine und Fette einbrachte, sondern das Aufspüren
von Kadavern, also von Jagdbeute größerer Raubtiere, die
diese nicht sofort auffressen konnten. Der Erfolg der Menschen
beruhte allem Anschein nach auf seiner Vielseitigkeit bei der
Nahrungsversorgung und natürlich auf seiner sich schnell
entwickelnden Intelligenz. Auch wenn es zunächst unappetitlich
klingt, wahrscheinlich warren unsere Vorfahren zumindest zeitweise
weit umherstreifende Aasfresser. A propos Aasfresser: auch in der heutigen Zeit essen
viele „Wild“ in leicht angegammeltem Zustand, wenn auch gut
gegart (haut gout). Was die Raben unter den Vögeln sind,
mögen die Frühmenschen unter den Primaten gewesen sein:
esstechnisch sehr flexible Grüppchen von
schlauen Herumtreibern.
Der aufrechte Gang ermöglichte es ihnen relativ energiesparend lange Strecken zurückzulegen und
dabei der Sonne weniger Angriffsfläche zu bieten. Die
Felllosigkeit und viele Schweißdrüsen erleichterten die
Kühlung beim Laufen. Und schließlich konnten sie sich
schon mit einfachen Werkzeugen und Waffen weit besser versorgen und
verteidigen als ihre Konkurrenten mit Zähnen, Klauen und
Hörnern. Die Entwicklung von Sprache und Kommunikation dürfte
bei einem Wesen, das in Gruppen oder Horden lebte auch von
erheblichem Vorteil gewesen sein.
Der entscheidende Vorteil beim Laufen auf zwei Beinen wäre so die
Möglichkeit gewesen, sich die Protein- und Fettquellen von
Tierkadavern nutzbar zu machen. Natürlich gibt es auch andere
Theorien. Nach einer der derzeit verbreitetsten hätten die
aufrecht stehenden Urmenschen ihr Essen watend im flachen Uferwasser
von Flüssen und Seen gefunden (Niemitz 2010).
Das Szenario krankt leider daran, dass die im Wasser stehenden Muschelsucher immer
ratz-fatz von Krokodilen gefressen werden und sich dadurch evolutionär
nicht so richtig durchsetzen können. Knie- bis hüfttief im
Wasser stehend ist Weglaufen schließlich nicht ganz so einfach.
Ich für meine Person finde die Renn-These überzeugender.
Aber ich renne ja auch gerne in der Gegend rum, auch wenn ich Pasta
mit Soße einem angegammelten Antilopensteak eindeutig
vorziehe.
Die Muskelmänner der menschlichen Evolution kamen übrigens erst
sehr viel später ins Spiel. Noch bevor es in Europa empfindlich kalt wurde,
Stichwort: „Eiszeit“, hatten beeindruckend muskulöse
Großwildjäger eine zeitlang Hochkonjunktur. Das sollte
sich jedoch geben als eine neue Generation von
leichten Rennern aus Afrika nachrückte. Warum die kräftigen Jungs aus dem Norden dann ausstarben, ist bis heute nicht klar.
Vielleicht waren sie einfach zu schlechte Läufer. Aber das ist schon eine
ganz andere Geschichte.
Interessante Lektüre zum Thema
bieten beispielsweise die Publikationen von Daniel E. Lieberman
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